Ein österreichischer Montessori-Fachmann stellt sich unseren Fragen. Im Interview: Prof. Dr. Wilhelm Weinhäupl. Er gibt Montessori-Lehrgänge in Österreich, ist Professor für Humanwissenschaften an der Pädagogischen Akademie d. Bd. in Salzburg, Vater von 4 Kindern und schreibt Fachbücher zum Thema Montessori-Pädagogik und Montessori-Material. Er erklärt, wie und wann er vom „Montessori-Fieber“ infiziert wurde.
Wann und wie sind Sie zur Montessori-Pädagogik gekommen?
Prof. Dr. Weinhäupl: Auf der Suche nach Alternativen zu meinem bisherigen Unterricht hatte ich im Jahr 1978 bei einer Hospitation in einer Montessori-Schule in München mein pädagogisches Schlüsselerlebnis.
Was fasziniert Sie an der Montessori-Pädagogik?
Prof. Dr. Weinhäupl: Ihre zeitlose Gültigkeit und Wirksamkeit. Sie ist resistent gegen zeitgeistige Trends und ist widerstandsfähig gegen den raschen Wechsel von pädagogischen Modeerscheinungen.
Sie unterrichten in Montessori-Diplomkursen. Liegt Ihnen dabei ein Themengebiet bzw. ein Materialbereich besonders am Herzen und aus welchem Grund?
Prof. Dr. Weinhäupl: Mein ganz persönliches Lieblingsmaterial sind die Einsatzzylinder. Hinter ihrer scheinbar einfachen Oberfläche verbirgt sich ein Netz interessanter Zusammenhänge.
Ich selbst bin Dozent für Theorie, Kinderhaus und Mathematik. Die Bereiche sind für mich in ihrer Bedeutung gleichwertig, weil keiner für sich alleine stehen kann und sie wechselseitig aufeinander wirken.
Wie kann Ihrer Meinung nach die Montessori-Pädagogik auch in Regelschulen die Schüler unterstützen?
Prof. Dr. Weinhäupl: Montessori ist durchaus regelschulkompatibel.
Anders als in Deutschland hat sich in Österreich über jetzt schon Jahrzehnte eine Bewegung zur Umsetzung der Montessori-Pädagogik im Regelschulwesen etabliert, und das mit beachtlicher Breitenwirkung.
In Südtirol wurden vom Schulamt fünf Mittelpunktschulen mit Montessori-Schwerpunkten ausgestattet. Sie wirken als Impulsgeber für die anderen öffentlichen Schulen im Umfeld. Ich durfte über viele Jahre an dieser Entwicklung mitwirken.
Welche Empfehlung haben Sie für Eltern, die Montessori zuhause umsetzen möchten?
Prof. Dr. Weinhäupl: Für meine vier Kinder habe ich keine Montessori-Materialien nach Hause geschafft und auch nie versucht ihnen Lektionen zu geben. Die Rolle der Eltern ist eine andere, als die der PädagogInnen in einer institutionellen Montessori-Umgebung.
Richtlinien für mein Verhalten als Vater waren:
ein wertschätzender Umgang, nie beschämen, den Geist anregen, erzählen, vorlesen und miteinander reden, Erfahrungen sammeln lassen, nicht zu viel erklären, kaum belehren und immer viel zutrauen.
Das Zuhause ist eine natürliche vorbereitete Umgebung, aus der der Geist des Kindes schöpfen kann.
Was war das ungewöhnlichste bzw. überraschendste Montessori-Erlebnis während Ihrer Arbeit!
Prof. Dr. Weinhäupl: Dass ich vieles als Erwachsener erst bei der Arbeit mit dem Montessori-Material verstanden habe, was mir als Schüler unverständlich und verwirrend erschienen ist. – Viele beeindruckende „Ich hab’s“ Erlebnisse!
Sie sind Initiator und Autor der Buchreihe „MONTESSORI einfach klar!“. Damit bieten Sie sowohl Fachleuten als auch Laien einen detaillierten Einblick in die Verwendung der Montessori-Materialien. Was hat Sie dazu gebracht, Ihr Wissen in Buchform zu bringen?
Prof. Dr. Weinhäupl: Die Montessori-Materialien sind unübertroffen genial. Sie erklären sich jedoch nicht von selbst, sie müssen einem erschlossen werden. Wie das geht, lernen PädagogInnen in den Diplomlehrgängen. „MONTESSORI einfach klar!“ soll helfen, die Materialien gut zu verstehen. Daraus entsteht ein positiver Spannungsbogen hin zur Realisierung in der Praxis.
Dazu, das Buch zu schreiben, hat mich die Erfahrung als Dozent gebracht. Für die LehrgangsteilnehmerInnen stellte sich immer die gleiche, schwer zu bewältigende Aufgabe. Zum einen sollten sie die vorgeführte Lektion möglichst genau und durchgehend beobachten und reflektieren, zum anderen wollte das Gesehene auch schriftlich festgehalten werden. Beides gelang immer nur lückenhaft, das war unbefriedigend.
Wie die Erfahrung zeigt, hat das Buch geholfen, diesen Druck von den TeilnehmerInnen zu nehmen. Sie können sich entspannter auf das Neue konzentrieren und beim Üben auf das Buch als sichere Hilfe zurückgreifen.
Was finden Sie, muss zur Montessori-Pädagogik unbedingt erwähnt werden!
Prof. Dr. Weinhäupl: Egal ob in Kinderhaus oder Schule, es sind die PädagogInnen, in deren Hand es liegt, eine im Sinne Montessoris förderliche Lebenswirklichkeit entstehen zu lassen. Das Material allein kann das nicht leisten, es hat dienenden Charakter.
Welche Frage zum Thema Montessori haben wir Ihrer Ansicht nach vergessen zu stellen?
Prof. Dr. Weinhäupl: Was hat die/der PädagogIn davon?
Die Arbeit ganz nah am Kind führt zu hoher Berufszufriedenheit. Einmal diese Erfahrung gemacht, ist eine Rückkehr zum traditionellen Frontalunterricht nicht mehr vorstellbar.
Das kann ich aus vielen Gesprächen mit Pädagoginnen bestätigen.
Vielen Dank Herr Prof. Dr. Weinhäupl, dass Sie so ausführlich geantwortet haben!
Mehr Infos zu Montessori-Diplomkursen in Österreich mit und bei Prof. Dr. Weinhäupl findet man auf seiner Internetseit: montessori-ausbildung.at